Abschiedsrede für meinen Opa

Am 3. Februar 2024 verstarb mein Großvater Bernd Walter Ventur. Opa wurde 82 Jahre alt, 30.192 Tage seit seiner Geburt am 5. Juni 1941. Die Beisetzung fand am 16. Februar 2024 statt. Dort hatte ich die Möglichkeit meinen Abschied als einer der Redner vorzutragen. Dies ist die Rede, welche ich an die Trauergemeinde, seine Freunde und unsere Familie richtete.


Abschied

Früher hatten Opa und ich unregelmäßigen Kontakt, mal telefonisch, mal durch Besuche. Die meisten unserer Telefonate dauerten keine drei Minuten. Als Jugendlicher war das mein Geburtstagsscherz: „Wie lange schaffen wir es dieses Jahr!“

Ich erinnere mich an ein paar Lektionen, die er mir erteilte: „Bei abknickender Vorfahrtsstraße muss man immer blinken!“ Und ich dachte mir: „Gut zu wissen, aber auf gerader Straße kann man auch geradeaus fahren!“

Opa, Christopher und ich bestiegen vor gut 20 Jahren den Brocken im Harz. Er selbst war oft dort oben und hat auch ein paar Mal den Brocken-Benno getroffen, den er sehr bewunderte.

Nach meiner Ausbildung arbeitete ich bei einem Verlag, bei dem Opa schon vor über 20 Jahren Bücher und Hefte kaufte. Ich konnte ihm aus dem Nähkästchen erzählen, was Dr. Spitzbart wirklich für seine Gesundheit empfahl. Über diesen Zufall waren wir beide begeistert.

In den vergangenen Jahren hielten wir regelmäßigeren Kontakt. Noch im November waren Franzi und ich bei ihm zu Besuch. Er zeigte uns voller Stolz sein neues Aquarium und erzählte, dass er es genoss, die Fische darin zu beobachten.

In unserem letzten Gespräch galt sein Interesse besonders meinen Reisen. Er war von den Radtouren völlig mitgerissen. Opa wollte erfahren, wie ich auf den Berg gestiegen bin und wie ich das mit dem Triathlon und Marathon alles geschafft habe. Wir drückten uns zum Abschied, ohne uns der Endgültigkeit dessen bewusst zu sein.

Auch wenn wir uns nur selten sahen, haben wir immer viel gelacht. Opas Lachen füllte ganze Räume. Und wir alle spürten die Energie, wenn Opa über Ideen, Träume, Reisen oder Witze sprach.

Doch weiß ich eigentlich, wer mein Opa wirklich war? Was erzähle ich später meinen Kindern?
Welche Geschichte erzählt man über jemanden, der seine Geschichte nie erzählte?

Durch die vielen Gespräche mit euch und unseren Verwandten bin ich durch die Zeit gereist.

Neben den vielen schönen Erlebnissen und Erinnerungen gehören, wie in jedem bewegten Leben, auch Fehler, Schicksalsschläge und Krankheiten dazu. Ihr habt von Unternehmungen erzählt und Fotografien gezeigt. Viele bekannte, aber auch neue Geschichten.

Und dann begegnete ich dem jungen Bernd, wie er als Kind im Haus seiner Eltern vor seinem Aquarium saß und die Fische darin beobachtete. Er hockte dort und sah dem kleinen Goldfisch zu, der innerhalb der Grenzen des Glasbeckens sein Leben führte und ab und an etwas wagte. Ich stelle mir vor, dass ihn das zum Träumen anregte.

Natürlich kam dann das Leben dazwischen. Ungeliebte Berufe und Aufgaben, politische Einschränkungen, Sorgen um die Zukunft. Mittendrin fand er seine erste Liebe, heiratete sie schnurstracks und begründete damit unsere Familie.

Vielleicht wollte Opa für seine Kinder ein Aquarium besorgen, nur um in der Zoohandlung zu hören, dass das wenig Sinn macht, weil sie kaum Futter hätten. Wo andere Probleme sahen, gab es für Opa nur Chancen. So nahm er die Würmer-Idee von Opa Walter auf und verdiente etwas Geld mit der Züchtung von Enchyträen. Womöglich hat er sich damit seinen eigenen Markt aufgebaut, denn die Nachfrage nach Aquarien war groß genug, dass er sie nach der Glaserschule für das ganze Land baute.

Als dann billigere Aquarien aus dem Westen verfügbar waren, wurde aus dem Geschäft die Glaserei. Die Auszeichnung zum besten Chef hat er wohl nie erhalten. Doch egal, ob die Zeiten gut oder schwierig waren, Opa Bernd zahlte seine Mitarbeiter immer zuerst, bevor er ein eigenes Gehalt nahm. Zuletzt war Opa Nachtwächter – wenn ich ihn einen Türsteher nannte, lachte er herzlich darüber.

Opa hat nie aufgehört, Neues zu lernen, mehr erfahren zu wollen und die Welt kennenzulernen. Und so saßen wir im November zusammen und beobachteten die Fische in seinem Aquarium.

In den letzten Wochen habe ich zunehmend gedacht, dass ich viel mit ihm verpasst habe. Wir hätten gemeinsam Abenteuer erleben können. Uns über Bücher und Musik austauschen oder mehr über Träume und Reisen philosophieren können.

Doch weiß ich auch, dass seine Energie, seine Abenteuerlust, sein Tatendrang, seine Träume und sein unverbesserlicher Optimismus in euch und in mir weiterleben. Lasst uns gemeinsam durch unsere Wagnisse, unsere Einfälle und durch unser Lachen Opas Andenken weiterleben lassen. Denn das, was wir am meisten an ihm bewundert haben, sind auch die Eigenschaften, die andere an uns schätzen.

Danke, Opa, dass du das Beste aus dem gemacht hast, was dir zur Verfügung stand. Danke, dass du stets versucht hast, die dir gesetzten Grenzen zu verschieben und hinter dir zu lassen. Danke, dass du den Glauben hattest, alles schaffen zu können. Nun bist du ins Licht gegangen. Ruhe in Frieden, Opa.

Der Weg